Virtuelle Realität

von Thomas Aichner

1. Juni 2018

Beispiele aus der Praxis: Unterhaltung, Arbeit, Forschung, Gesundheit

Virtuelle Realität (VR) ist ein Teilgebiet der Informatik und ermöglicht es, mit Hilfe von Daten- bzw. VR-Brillen eine umfassende, scheinbare Realität zu schaffen, in der sich der Nutzer präsent fühlt. Dabei werden künstliche visuelle und auditive Reize erzeugt, also Videos und 3D-Welten sowie Geräusche, Stimmen und Musik. Die Wahrnehmung und die Sinne des Nutzers generieren durch dieses Zusammenspiel das Gefühl, sich tatsächlich an einem anderen Ort zu befinden und eine bestimmte Situation zu erleben. Durch Sensoren in der VR-Brille wird die Kopfposition und Blickrichtung ermittelt, sodass man sich durch das Bewegen des Kopfes in der virtuellen Welt umschauen kann. Der Anwendungsbereich von VR ist vielfältig und umfasst unter anderem Unterhaltung, Shopping, Arbeit, Industrie, Entwicklung, Bildung bzw. Ausbildung, Forschung, Kommunikation und Gesundheit.

Die Anfänge der Virtuellen Realität oder Virtual Reality (VR) lassen sich bis in die 1960er Jahre zurückverfolgen, als die ersten brillenartigen Bildschirme am Kopf befestigt wurden. Die sogenannte „Telesphere Mask“ war allerdings weder interaktiv, noch waren Sensoren daran befestigt. Es wurde lediglich ein 3D-Film mit Stereo-Musik gezeigt. Im Jahr 1991 Jahre hielt VR Einzug in Spielhallen, die damals überall zu finden waren, aber mittlerweile fast komplett ausgestorben sind . Es konnten Autorennen, Bowling und andere Spiele in virtuellen, aber nicht wirklich realistischen, Welten gespielt werden. Zwei Jahre später, 1993, hat der japanische Spielekonsolen-Hersteller SEGA eine VR-Brille entwickelt, die den heutigen bereits sehr ähnlich sieht. Wegen technischer Schwierigkeiten blieb es aber beim Prototyp und die „SEGA VR“ hat es nie ins heimische Wohnzimmer geschafft – obwohl bereits vier Spiele entwickelt wurden. In den darauffolgenden Jahren gab es noch weitere erfolglose Versuche, VR marktreif zu machen, z.B. von Nintendo. Allerdings waren weder die Produkte ausgereift noch waren die Konsumenten bereit für diese neue Technologie.

Erst im 21. Jahrhundert, als die Computer-Hardware leistungsfähiger, das Internet schneller und virtuelle 3D-Welten immer realistischer wurden, hat sich VR durchgesetzt und Einzug in den privaten und/oder beruflichen Alltag vieler Menschen gehalten. 2016 wurden bereits 6,3 Millionen VR-Systeme verkauft – 2017 wird diese Zahl um ein Vielfaches übertroffen werden. Heute produzieren nahezu alle großen Elektronikunternehmen wie Sony, HTC, Acer, HP und Samsung VR-Brillen. Aber auch Google mit der „Daydream VR“ oder Facebook mit „Oculus Rift“ bieten eigene Produkte und die dazugehörigen Inhalte an. Sehr gute VR-Brillen für Konsumenten kosten zurzeit zwischen 300 und 800 Euro. Brillengehäuse ohne eigenen Bildschirm, in die das eigene Smartphone eingefügt werden kann, sind bereits für 10 bis 100 Euro erhältlich. Professionelle Geräte für Unternehmen kosten mindestens 1.000 Euro und können zum Teil wesentlich teurer sein. Unabhängig vom Anbieter oder der Anwendung ist es das Ziel, durch ausgereiften Inhalt die Immersion (Eintauchen) zu perfektionieren, wobei die virtuellen Eindrücke die Wirklichkeit ersetzen sollen.
Außer Spiele gibt es bereits heute viele ausgereifte Inhalte für die unterschiedlichsten Anwendungsfelder. Nutzer können z.B. fremde Länder bereisen, sich durch den Urwald kämpfen und exotische Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten – ohne Umweltverschmutzung durch den Flug, ohne die Tiere zu stören, und ohne persönliches Risiko. Schüler müssen nicht mehr in Geschichtsbüchern nachlesen, wie die Bürger im römischen Reich gelebt haben, sondern können selbst das Kolosseum oder den Circus Maximus besuchen und sich als echter Römer fühlen. Medizinstudenten können das Innere des menschlichen Körpers erkunden oder schwierige Operationstechniken erlernen, und Astronomen auf fremden Planeten wandeln. Audi bietet in London virtuelle Testfahrten an und hat berichtet, dass im ersten Jahr 50% der Kunden aufgrund der VR-Erfahrung tatsächlich ein Auto gekauft haben – ganz ohne physische Testfahrt. Diese Kunden gaben wegen zusätzlicher Extras außerdem durchschnittlich 20% mehr für ihr neues Auto aus. Weitere Anwendungsbereiche sind z.B. Meetings, Bewerbungsgespräche, Besichtigungen von Immobilien, Museumsbesuche, die Entwicklung von Maschinen und Gesundheit bzw. Therapie.

So wurde in einer 2016 veröffentlichten 12-monatigen Studie von 20 Wissenschaftlern nachgewiesen, dass Querschnittsgelähmte nach intensivem Training mit VR wieder einen Teil der Kontrolle über ihre Beine zurückerhalten können. Die Patienten mussten einen virtuellen Fußballspieler über ein Fußballfeld navigieren und sich dabei vorstellen, ihr eigener Körper mache die Bewegungen. Bei allen acht Versuchsteilnehmern wurde eine Verbesserung festgestellt, wobei bei einem die Diagnose von ASIA B auf ASIA C und bei drei von ASIA A (komplette Querschnittslähmung) auf ASIA C (teilweise Querschnittslähmung) geändert wurde. Ein weiteres Beispiel aus dem Gesundheitsbereich ist die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Patienten werden mithilfe einer VR-Brille der Stresssituation ausgesetzt, die das Trauma auslöst. Währenddessen befindet sich ein Arzt im Raum, dem der Patient die Situation schildert. Aber auch die weit verbreiteten Angststörungen (aktuell leiden darunter etwa 10-15% aller Europäer), Stress und leichte Depressionen können mit VR behandelt bzw. gelindert werden: z.B. mit der meditativen Anwendung „Deep“, die mit der Atmung gesteuert wird und Nutzer in eine mysteriöse Unterwasserwelt eintauchen lässt. Als viertes Beispiel – und diese Liste ließe sich fast beliebig lange fortsetzen – kann VR dafür eingesetzt werden, soziale Fähigkeiten zu verbessern. Eine Studie des Center for BrainHealth der University of Texas aus dem Jahr 2016 zeigt, dass Kinder mit hochfunktionalem Autismus bereits nach 10 Sitzungen innerhalb von fünf Wochen Strategien der sozialen Interaktion erlernt und sich deutlich erfolgreicher und selbstsicherer in sozialen Situationen bewegt haben.

Die Zukunft von VR ist vielversprechend, birgt aber auch Risiken. Allem voran steht die Sucht. Es kann gefährlich sein, zu häufig oder zu viel Zeit in virtuellen Welten zu verbringen. Immer mehr Forscher warnen davor, dass die Suchtgefahr mit realistischer werdenden digitalen Welten zunimmt und, dass die Droge der Zukunft digital sein wird. Es wird sich zeigen, ob VR langfristig mehr Vor- als Nachteile bringt.

 

Bild: CC0 1.0 Universal, www.unsplash.com

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